Woyzeck ist ein in einfachen Verhältnissen lebender Soldat, der von Wahnvorstellungen und Halluzinationen geplagt und von seinen Vorgesetzten, dem Hauptmann und dem Doktor, misshandelt wird. Er hat ein uneheliches Kind mit seiner Freundin Marie gezeugt, die ihn aber später mit einem Tambourmajor betrügt. Aus Wut und Eifersucht ersticht Woyzeck Marie. Georg Büchner verfasste 1836 dieses facettenreiche Drama ,,Woyzeck“, das bis heute als eines der wichtigsten Werke der deutschsprachigen Literatur gilt.
Am 09.05.2025 besuchte unser Deutschleistungskurs der KS1 mit Frau Haas und Frau Kannegießer das Badische Staatstheater Karlsruhe, wo wir uns eine Bühneninszenierung des Dramas ,,Woyzeck“ anschauten. Wir kamen gegen Nachmittag in Karlsruhe an und wurden erst einmal alle von Frau Haas auf zwei Kugeln Eis eingeladen. Danach hatten wir ungefähr zwei Stunden Zeit, die Stadt frei zu erkunden. Einige von uns schauten sich bekannte Sehenswürdigkeiten wie das Schloss und das Bundesverfassungsgericht an, während andere Schüler sich dafür entschieden, in ein schönes Café zu gehen. Kurz vor 19 Uhr trafen wir uns dann alle am Staatstheater. Wir stellten dort unsere Taschen ab und schon begann die Vorstellung. In den Wochen zuvor haben wir uns im Unterricht sehr intensiv mit ,,Woyzeck“ auseinandergesetzt, sodass wir die dargestellten Figuren leicht verstehen und Parallelen und Abweichungen zwischen der Bühnenversion und dem Drama erkennen konnten.
Die Bühneninszenierung war eine moderne Interpretation des Originals. Sie vermischte moderne Elemente wie beispielsweise ein Auto und Golfbälle mit aus dem Werk entnommenen Dialogen. Dies verlieh der Inszenierung einen neuen Charakter. Sie war keine Kopie des Originals und schaffte es dennoch, dessen Kern zu bewahren. So wurden beispielweise Woyzecks Wahnvorstellungen und Halluzinationen, welche in der literarischen Version zentral sind, von dessen Schauspieler erfolgreich inszeniert. Er sah in den meisten Szenen sehr gehetzt aus und äußerte mehrfach, dass er verfolgt werde und Angst empfinde.
Seiner instabilen Psyche wurde außerdem durch verbale und physische Gewalt stark zugesetzt. Woyzecks gesamte Körper war stets von Wunden bedeckt, sichtbare Beweise dafür, dass er körperlich misshandelt wurde. Der Hauptmann, Woyzecks Vorgesetzter, ist einer der Täter. Er wurde als reicher, anmaßender Golfspieler dargestellt, der Woyzeck von einer Erhöhung der Bühne mit Golfbällen bewarf, die Woyzeck vergeblich versuchte aufzuheben. Er bewarf Woyzeck solange mit Golfbällen und erniedrigte ihn verbal, bis dieser weinend und verletzt am Boden lag. Auch andere Figuren wie der Doktor und der Tambourmajor erhoben sich über Woyzeck, erniedrigten ihn, stellten ihn bloß und schrien ihn an. Sie standen gesellschaftlich über ihm und missbrauchten ihre Macht, um Woyzeck Leid zuzufügen.
Die ungleichen Machtverhältnisse zwischen den Figuren wurden bühnentechnisch durch Rampen umgesetzt. Woyzeck als einfacher Soldat stand hierarchisch unten und dementsprechend auch am unteren Ende der Rampe. Der Hauptmann, der Tambourmajor und der Doktor übten alle eine hohe Dominanz gegenüber Woyzeck aus und standen deshalb meist am oberen Ende der Rampe. Während der Hauptmann Woyzeck mit Golfbällen körperlichen Schaden zufügte, verordnete der Doktor Woyzeck eine strikte Erbsenkur, die dessen Körper stark belastete: Er durfte ausschließlich Erbsen zu sich nehmen, war deshalb mangelernährt und bekam oftmals Schwächeanfälle. Woyzeck war zwar ein Patient des Doktors, wurde aber von diesem lediglich als ein Versuchsobjekt wahrgenommen. Auch der Arzt missbrauchte also seine Machtposition. Eine Szene blieb uns dabei besonders nachdrücklich in Erinnerung. Der Hauptmann, der Doktor und der Tambourmajor umzingelten Woyzeck, traten auf ihn ein und stellten ihn vor aller Augen bloß. Da sie ihn alle gleichzeitig beleidigten und herabwürdigten, entstand eine große Lärmkulisse, die selbst für uns Zuschauer und Zuschauerinnen schwer erträglich war.
Eine weitere wichtige Figur im Drama ist Marie. Sie ist die Freundin von Woyzeck und Mutter ihres gemeinsamen unehelichen Sohnes. Wie in der Dramenvorlage lässt sich die Figur Marie auch in der Theaterinszenierung auf eine Affäre mit dem Tambourmajor ein. Woyzeck ist nicht in der Lage gewesen, ihre körperlichen und seelischen Bedürfnisse zu befriedigen, weshalb sie sich dem attraktiven Tambourmajor, der ihr auch teure Geschenke macht, zuwendet. Dass dieses Verhältnis auf rein physischer Anziehung fundiert, wurde von den Schauspielern gut vermittelt. Sie scheuten sich hierfür nicht, auch körperliche Intimität zu zeigen.
Der Tambourmajor interagierte dabei kurz mit uns Zuschauenden und forderte beispielsweise zwei unserer Klassenkameraden auf, sein Bein anzufassen, um zu beweisen, wie stramm dieses sei. So wurde der Tambourmajor als eine Figur, die aufgrund ihres Körperbaus protzt und sich anderen überlegen fühlt, deutlich charakterisiert.
Woyzeck erfährt im Laufe der Handlung von dieser Affäre, lockt Marie in den Wald und ersticht sie. Die Frage, ob Woyzeck schuldig ist oder lediglich als Opfer seiner Umstände determiniert war, Marie umzubringen, blieb offen. Genauso wie im Drama mussten wir Zuschauer uns eine eigene Meinung bilden, was wir als positiv erachteten. Einige Szenen blieben bis zuletzt unklar, teilweise aufgrund ihrer abstrakten/modernen Gestaltung. Beispielsweise startete die Inszenierung mit vielen kleinen Kindern, die auf der Bühne herumrannten und sich gegenseitig mit Nerf-Pistolen abschossen. In solchen Fällen war die Abweichung vom Original so groß, dass ein Kenner des Werkes nicht direkt verstand, wie diese Szenen zu deuten seien. Gleichzeitig boten einige moderne Aspekte der Inszenierung, etwa die Rampen, die Möglichkeit, ,,Woyzeck“ aus einer neuen Perspektive zu betrachten, eigene Interpretationstheorien zu entwickeln und das eigene Verständnis des Werkes zu festigen.
Insgesamt war es eine runde und gelungene Vorstellung, die uns einen neuen Zugang zum Drama ,,Woyzeck“ verschaffte, und ein angenehmer Abend, den wir gemeinsam als Kurs verbrachten.
von Laura W. und Marie Z., KS1g
