Genderinklusive Sprache im Deutschen – Zumutung, Herausforderung, Notwendigkeit? – Prof. Dr. Carolin Müller-Spitzer zu Gast am LFG

Lehrerinnen und Lehrer? Lehrer*innen? Lehrkräfte? Oder meint nicht der Begriff Lehrer schon alle Geschlechter? Im Diskurs mit Genderlinguistikerin Prof. Dr. Carolin Müller-Spitzer vom Leibniz Institut für Deutsche Sprache setzen sich die Teilnehmenden am Vortrag, der im Rahmen des Projektes Schule der Vielfalt, das von der Stiftung Bildung finanziell unterstützt wird, und in Kooperation mit der Vielfalt AG und dem philosophischen Café stattfand, wissenschaftlich mit dem Thema Gendern auseinander. Während anwesende Deutschleistungs- und Basiskurse sich mit dem Thema schon im Unterricht genauer befassten oder gar Umfragen dazu erstellt hatten, war es für andere die erste aktive Auseinandersetzung mit dem Thema. Ein Thema, das gesellschaftlich oft emotionalisiert und polarisiert.

Bevor Prof. Müller-Spitzer zu Fragen einlud, bot sie einen tiefen Einblick in das Feld der Genderlinguistik, das von historischen Einblicken bis hin zu aktuellen psychologischen Studien reichte.

Während die Wahl der meisten Artikel im Deutschen generell recht willkürlich festgelegt ist, so richten sich Artikel vor Personenbezeichnungen immer nach dem jeweiligen Geschlecht. Im Plural gilt allerdings das Prinzip „male as norm“, schließlich weiß die Allgemeinheit, dass mit dem Begriff „die Lehrer“ sowohl weibliche als auch männliche Personen gemeint sind. Jedoch ist vielen nicht bewusst, dass dies vor allem daher rührt, dass es viele Berufe einfach lange Zeit nicht für Frauen gab, da es ihnen verwehrt wurde zu studieren oder gar zu arbeiten, sofern es ihre hausfräulichen Pflichten beeinträchtigte. Dies übrigens nicht nur sprachlich, sonder laut Müller-Spitzer wird trotz anatomischer Unterschiede auch in der Medizin häufig der männliche Körper als „Norm“ angesehen.

Doch auch wenn es allgemein bekannt ist, dass männliche Pluralformen „alle“ miteinschließen, so zeigen Studien, dass unterbewusst doch zunächst nur an männliche Vertreter gedacht wird und das Gehirn länger braucht, um dabei auch weibliche Verteterinnen miteinzuschließen. Dies belegen auch Studienergebnisse zu Stellenanzeigen, auf die sich beispielsweise deutlich weniger Frauen bewerben, wenn statt „Projektmanagment“ oder „Projektmanagerin oder -manager“, ein „Projektmanager“ gesucht wird oder Grundschülerinnen sich den Beruf „Anwalt“ weniger gut vorstellen können als „Anwältin oder Anwalt“. Prof. Müller-Spitzer empfiehlt einen toleranten Umgang mit gendern statt Verbote, wie beispielsweise in Abiturklausuren in Hessen, Bayern, Sachsen, usw.
Sprache hat sich schon immer und wird sich immer entwickeln. Somit sind wir alle am aktuellen Prozess der Sprachentwicklung beteiligt, denn das Kollektiv entscheidet im Endeffekt. Dies wird auch am Beispiel aus sozialen Medien deutlich. Vorzuschreiben, was richtig ist bei Wortneuschöpfungen ist kaum möglich: gelikt, geliket oder geliked? Es setzt sich das durch, was am meisten verwendet wird. So bleibt aktuell offen, wie die Zukunft genderinklusiver Sprache aussieht. Neutralisierungen scheinen, sofern sie existieren, meist die einfachste und inkludiertenste Möglichkeit, so Müller-Spitzer. Als Mitarbeitende, Teilnehmende oder Leitende können sich schließlich auch nicht-binäre oder intersexuelle Menschen identifizieren, was bei binären Bezeichnungen wie Mitarbeiterin und Mitarbeiter oft ausgeschlossen ist.

Viele Fragen aus der Schülerschaft zeigen, dass das Interesse, aber auch die Unsicherheit im Umgang gendeninklusiver Sprache teilweise groß ist. Für die einen eine Herausforderung, für andere eine Zumutung oder Notwendigkeit. Doch Aufklärung, Diskurs und ein Anstoß sich damit auseinanderzusetzen sind ein wichtiger Schritt. Inbesondere für eine vielfältige und inkludierende Gesellschaft, in der sich jeder repräsentiert fühlen soll.
Prof. Müller-Spitzer zeigt es nämlich eindeutig: Sprache beeinflusst nicht nur unser Denken – selbst wenn es uns manchmal nicht bewusst ist, sondern sie gehört uns allen. Wir dürfen sie verändern: Denn alles ist im Fluss und auch unser Common ground, unser gesellschaftlicher Konsens, der den neuen wissenschftlichen Erkenntnissen angepasst werden muss, muss ständig neu verhandelt werden.

Im Namen des Ludwig-Frank-Gymnasiums bedanken wir uns daher sehr herzlich für die interessanten Einblicke durch Prof. Dr. Müller-Spitzer und die Koordination durch Heike Chan Hin vom Leibniz Institut für deutsche Sprache.

E. Agnetta & F. Fritz

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