Aus Anlass des 75. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee fand im Stadthaus N1 eine Feier- und Gedenkstunde der Stadt Mannheim statt.
Der Neigungskurs Geschichte hatte ein Jahr zuvor Auschwitz besucht. Drei SchülerInnen dieses Kurses haben im Stadthaus Zeugnis von ihren persönlichen Eindrücken abgelegt. In bewegenden Worten kontrastierten sie ihre Eindrücke von der Shoa mit den Schlussworten angeklagter Auschwitz-Wärter in den sogenannten Ausschwitzprozessen, die in Frankfurt in den 60er Jahren stattfanden. Das Unrechtsbewusstsein der Angeklagten trifft dadurch scharf und deutlich auf die gnadenlosen Verbrechen gegen jede Menschlichkeit, die dort begangen wurden.
Die letzten Zeugen können noch berichten, wir – die Nachfolgegenerationen – sind aufgefordert nicht zu vergessen.
(K. Oberländer)
Hier der Text, den die drei Schülerinnen und Schüler vorgetragen haben:
L: Wir waren dort, wir haben es gesehen.
A: Ich fand es ziemlich beeindruckend, dass am Anfang von jedem Häftling Bilder gemacht wurden, aber irgendwann gab es so viele Häftlinge, da gab es nur noch Nummern. Man war nur noch eine Zahl.
F: Ich habe die Bilder von den toten Häftlingen in einem langen Gang gesehen, das hat mich sehr bedrückt. Sie sahen gar nicht mehr aus wie individuelle Menschen, sondern wie eine Einheit. Als hätte man sie homogenisiert, ihnen die Individualität genommen.
A: Alle waren kahl rasiert, abgemagert, dieser traurige Blick ohne Lebenswillen, alle sahen alt aus – obwohl sie in Wirklichkeit jung waren. Ich konnte auf den Bildern noch nicht einmal Männer und Frauen unterscheiden.
L: Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass diese Menschen, die nur noch aus Haut und Knochen bestanden, noch arbeiten konnten.
F: Wir waren dort, wir haben es gesehen.
L: An der Wand waren Zeichnungen von Kindern, die konnten nicht über ihre Erlebnisse sprechen, deshalb haben sie es nach dem Krieg aufgemalt. Zeichnungen von Menschen in einer Reihe und einem Wachmann mit Pistole, der sie der Reihe nach erschossen hat. Zeichnungen von Erhängten, von der Einfahrt nach Birkenau. Zeichnungen von Kindern …
F: Letztes Wort des Angeklagten Schlage, Auschwitzprozess Frankfurt 1964
Wenn der Herr Staatsanwalt Vogel mich als Kerkermeister bezeichnet, so klingt dieses Wort, als ob wir im Mittelalter lebten und auch heute noch leben. Ich war in Block 11 Aufseher, genauso wie es die Aufseher heute in den Gefängnissen auch sind. Ich hatte dort kein Recht und auch keine Macht. Ich musste, ob ich wollte oder nicht, den Dienst, der mir in Form von Befehlen gegeben wurde, so ausführen, wie es meine Vorgesetzten von mir verlangten.
A: Ich habe das Tor gesehen, durch das die Züge in das Lager gefahren sind.
F: Ich habe die Koffer mit den Namen der Menschen gesehen, Berge von Koffern. Prothesen, Schuhe, Töpfe, Haare, Brillen – es waren Berge von Sachen, die von den Menschen übrig geblieben sind. Baby-Schuhe …. da konnte ich mir erst vorstellen, was da wirklich passiert ist.
L: Ich habe einen großen Raum gesehen mit Tafeln, da standen endlose Reihen von Namen darauf, die Tafeln waren meterlang, wie riesige Bücher, in denen man blättern konnte. Die Namen der Opfer ….
A: Wir waren dort, wir haben es gesehen.
L: In einer Vitrine habe ich die Kleidung von Häftlingen gesehen. Wenn jemand gestorben ist, wurde die Kleidung einfach weitergereicht. Sie wurde mit Dampf desinfiziert, dann bekam sie der nächste Häftling. Blutreste, Erbrochenes, Körperausscheidungen – alles war noch dran. Die Neuen bekamen diese Lumpen, wenn sie aus dem Zug ausstiegen und nachdem sie kahl rasiert wurden. Wie muss man sich da gefühlt haben? Erniedrigt, den Geruch des Todes am Leib. Sie mussten gewusst haben, dass sie sterben werden.
F: Letztes Wort des Angeklagten Frank, Auschwitzprozess 1964
Ich habe in Auschwitz keinem Menschen etwas zuleide getan und bitte das Hohe Gericht daher um ein entsprechendes Urteil. Danke schön.
A: Beim Appellplatz am morgen wurde Musik gespielt und alle mussten im Kreis laufen. Viele waren verletzt und schwach, wenn sie aufhörten zu laufen, wurden sie im besten Fall getreten, oder gleich erschossen. Ich war erschüttert.
F: Als ich vor der Erschießungsmauer mit dem Kugelfang stand, wo sie die Häftlinge erschossen haben, konnte ich es mir erst richtig vorstellen.
L: Wir sind von Auschwitz 1 nach Auschwitz 2 gefahren. In Auschwitz 2 steht fast nichts mehr, da sind so viele Menschen gestorben und nichts ist mehr davon übrig. Das hat mich total traurig gemacht. Man weiß es und kann es gar nicht nachvollziehen.
A: In Auschwitz 2 standen wir vor einem Massengrab, das mussten die Häftlinge zuerst ausheben, dann wurden die Ungarn da hinein geworfen. Bei den vielen Leichen hat sich der Boden von den Gasen gewölbt, da mussten die Häftlinge alles nochmal aufgraben und die Leichen anzünden.
F: Letztes Wort des Angeklagten Baretzki, Auschwitzprozess Frankfurt 1964
Ich habe keinen totgeschlagen und keine Menschen ertränkt in Auschwitz. Sonst habe ich dazu nichts mehr beizufügen.
A: Die Baracken sahen aus wie Ställe, es sah aus wie Massentierhaltung für Menschen.
L: In den Baracken haben sich die Menschen fast gegenseitig erdrückt, weil sie teils aufeinander liegen mussten. Die Schwächsten mussten nach unten, in der Not wurde sogar gestohlen. Manchmal konnten sich die Häftlinge noch nicht einmal untereinander vertrauen, schliefen auf ihren dreckigen Schuhen, damit sie nicht gestohlen wurden.
A: Ich stand vor einem Tümpel, da wurden auch Leichen hinein geworfen. Man hört die Vögel, sieht das Birkenwäldchen und kann das kaum glauben. Es sieht so hübsch aus heute, so friedlich ….
L: Geht hin, schaut selbst…… Vergesst die Vergangenheit nicht.
Es ist noch gar nicht lange her. 75 Jahre … das ist nicht lange. Es gibt heute Menschen, die wollen sich scheinbar nicht mehr erinnern.
F: Wir waren da, wir haben es gesehen.