Aufmerksam und interessiert verfolgten die Schülerinnen und Schüler in der Sporthalle des LFG den Vortrag über ein dunkles Kapitel der deutsch-französischen Geschichte. Roland Gonieau und Gilles Chavant vom Komitee der Märtyer von Tulle waren dazu am Freitag, den 22.11.2024 angereist.
Danksagungen von Seiten des LFGs gehen insbesondere auch an Frau Solange Domisse vom Institut francais Mannheim und Herrn Zöller, ohne deren Mitwirkung eine solche Veranstaltung nicht möglich gewesen wäre. Weder der Kontakt zum Komitee der Märtyer von Tulle, noch das Unterstützungsangebot durch die zwei professionellen Dolmetscherinnen hätte es ohne ihren ehrenamtlichen Einsatz gegeben.
Roland Schmellenkamp berichtet für den Mannheimer Morgen über diese Veranstaltung:
Besuch aus Tulle in Mannheim: Erinnerung an eine dunkle Zeit
Am 9. Juni 1944 verübte die SS in der französischen Stadt Tulle ein Massaker. Gäste aus Frankreich waren jetzt in Mannheim. Im Ludwig-Frank-Gymnasium hielten sie einen Vortrag, der in Erinnerung bleiben dürfte
(MaMo 24.11.2024)
Mannheim. Ein Mann geht mit strengem Blick durch die Reihen und zeigt willkürlich auf Menschen, die mit dieser Geste zum Tode verurteilt sind. Gilles Chavant vom Komitee der Märtyrer von Tulle ging am Freitagmittag so durch die Sporthalle im Ludwig-Frank-Gymnasium und zeigte den jungen Leuten eindrücklich, wie SS-Offizier Walter Schmald am 9. Juni 1944 in der französischen Stadt Tulle Einwohner auswählte.
Von den 120 so ausgewählten hängte die SS genau 99 im Stadtzentrum an Balkonen und Laternen. Dass es nicht alle 120 waren lag wahrscheinlich daran, dass bei den Kämpfen am Vortag verletzte deutsche Soldaten im Krankenhaus von den französischen Ärzten gut behandelt wurden. Roland Gonieau, Vorsitzender des Komitees der Märtyrer von Tulle, ist Zeitzeuge: Zwar hatte er als Zweijähriger auf dem Arm seiner Mutter das Massaker nicht gesehen, denn sie hielten sich im Hinterzimmer des Wohnhauses der Familie auf. Aber sein Vater, so berichtet er den rund 100 Schülern, habe am Fenster gestanden: „Er sah, wie sein Schwager erhängt wurde. Das muss man sich mal vorstellen!“
Wie kam es zum Massaker? Am 6. Juni 1944 landeten die Alliierten in der Normandie, die Widerstandsgruppen kämpften im Landesinneren, und ihnen gelang es am 8. Juni, Tulle zu besetzen, das am westlichen Rand des französischen Zentralmassivs liegt. Dabei starben rund 120 Soldaten der Wehrmacht, aber auch viele Widerstandskämpfer. Was die Resistance nicht wußte: Die SS-Division „Das Reich“ war gerade mit 2500 Veteranen und weiteren 9000 frisch eingezogenen 16- bis 20-jährigen Elsässern auf dem Weg in die Stadt, die sie nur einen Tag später erreichte. Die Widerstandskämpfer zogen sich zurück, aber die SS wollte Vergeltung.
Roland Gonieau berichtete von weiteren Schicksalen, so vom 17-jährigen Jean Viellefond. Seine Eltern wohnten gegenüber der Waffenfabrik, aus der er herausgeführt wurde, was seine Mutter vom Fenster aus sah. „Er rief ,Mama sag ihnen, dass ich unschuldig bin’. Seine Mutter rannte die Treppen der drei Stockwerke herunter, aber da hing er schon.“ Ein anderer ist Francois Teillé, der an der Brücke erhängt werden sollte, doch er sprang in den Fluss: „Er wurde sofort erschossen, aus dem Wasser geholt und der tote Körper aufgehängt.“
Nach den Morden ging es mit den Erniedrigungen weiter: SS-Männer schnitten die Seile durch, die Erhängten fielen einfach zu Boden. Als Grabstätte wählte die SS die Müllhalde aus. Insgesamt wurden 900 Bürger gefangen genommen, davon deportierte die SS 311 in eine andere Stadt. 149 davon mussten in einen Todeszug zum Konzentrationslager Dachau einsteigen, dort kam nur ein Drittel lebend an. Nur wenige kehrten wieder in ihre Heimat zurück: „Sie berichteten von ihrem Leid, aber niemand glaubte ihnen.“
Die Taten der SS in Tulle waren kein „Ausrutscher“, sondern Plan: Die Division hatte in der Ukraine und Russland bereits 600 Dörfer niedergebrannt. Gonieau: „Das Erhängen von Zivilisten war sozusagen ihr Markenzeichen.“ 1944 hatte Heinrich Himmler, Reichsführer SS, bei einem Besuch eine Spezialoperation angekündigt. Und es gab einen Befehl: 5000 „Verdächtige“ festzunehmen. Weiter sollten für jeden getöteten Deutschen drei Franzosen sterben, für jeden ermordeten zehn. Allein innerhalb von drei Tagen habe die SS in der Region von Tulle 15 Dörfer niedergebrannt und 360 Menschen getötet. Die Region um Tulle sei eine der mit den im Verhältnis zur Bevölkerung meisten Widerstandskämpfern gewesen, um die 5000. Sie fanden in den Bergen und Wäldern der dünn besiedelten Gegend viele Verstecke, Waffen wurden von den Briten aus Flugzeugen abgeworfen.
Ein Schüler wollte wissen, wie die Leute im Ort mit den Geschehnissen leben. Gonieau: „In den ersten 20 Jahren wurden Deutsche nicht gern im Ort gesehen. Das gesamte deutsche Volk wurde verantwortlich gemacht. Zu Unrecht!“ Das habe sich mittlerweile geändert, „wir verstehen uns als Botschafter der deutsch-französischen Freundschaft“. Ein anderer Schüler: „Es gibt gerade wieder Krieg, die Geschichte wiederholt sich. Haben Sie Sorge, dass andere Menschen Opfer werden?“ Antwort des Komitee-Vorsitzenden: „Natürlich haben wir die Sorge, dass es sich wiederholen könnte. Ihr seid die Botschafter des Friedens, die dem Totalitarismus und der Barbarei entgegentreten!“
Ein weiterer wollte wissen, wie die Stimmung auf den Trauerzügen ist. Antwort: „Vollkommene Stille. Es gibt auch keine offiziellen Reden. Der Verkehr wird unterbrochen, es fahren keine Autos. An der Gedenkstätte werden die Namen der Erhängten und Deportierten vorgelesen.“ Roland Gonieau betonte: „Unser Ziel ist es, dass sich die junge Generation für den Frieden einsetzt. Wir haben die Pflicht zur Erinnerung.“ Sein eigener Vater habe ihm erst in den 1990er Jahren von den Ereignissen berichtet: „Das war für ihn wie eine Befreiung.“
Am LFG hatte Französisch-Lehrerin Kristina Hummelsberger den Besuch organisiert. Sie erklärt, dass Schüler der Französisch-Kurse und interessierte aus anderen Klassen das Thema im Unterricht behandeln. Bürgermeister Dirk Grunert betonte in seiner Rede: „Für die Menschen in Tulle ist das Massaker eine traumatisierende Zäsur, die bis heute nachwirkt.“